In 7 Monaten über 11.000 Km mit dem Fahrrad nach Shanghai

Und das Abenteuer beginnt…

Insgesamt blieb ich 4 Tage in Uralsk, bevor es weiter ging. Valentin bestand darauf mich abzuholen und aus der Stadt heraus zu lotsen. Kurz darauf schloss sich uns noch ein Freund von ihm an. Zusammen fuhren wir bis zur Stadtgrenze, die wir mit der Überquerung des Uralflusses erreichten. Geographisch war ich jetzt in Asien! Zum Abschied schenkten mir die Beiden noch ein paar Fische und Gebäck. Es waren ca 27 °C und damit schweineheiß. Am Abend pausierte ich an einer Bushaltestelle. Mehrmals musste ich verschiedenste Spinnenarten von meinen Beinen fegen. Darunter waren auch Exemplare, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Grün, rot und ein bisschen zu groß… Daran musste ich mich erst noch gewöhnen. Es sollte auch kein Einzelfall bleiben. Kasachstan ist voll von Spinnen, Käfern und vor allen Dingen riesigen Mückenschwärmen. Die Tage in der Stadt hatten mich etwas aus meinem gewohnten Trott gebracht. In der einen Minute noch ein Bett, Elektrizität, fließendes Wasser und Menschen (daran gewöhnt man sich wieder schnell) und plötzlich war ich wieder vollkommen alleine. Zum ersten Mal überkamen mich meine Gefühle. Aber was wäre diese Tour ohne meinen Schutzengel. Der hatte direkt was in petto und zauberte Aylan und seine Tochter Vika hervor. Dieser hielt ganz begeistert an und zeigte mir auf seinem Handy den Zeitungsartikel über mich. Er bot mir an bei sich zu schlafen. Wir fuhren im 90° Winkel von der Hauptstaße auf einen Feldweg, bis wir in ein kleines Dorf kamen. Er besaß eine kleine Hütte in der er mit seiner Tochter, einem Freund und einer Babuschka wohnte. Vor dem Haus liefen Hühner, Kühe und Pferde frei herum. Lediglich der namenlose Wachhund war angeleint. Ich wurde fürstlich bedient. Und die Krönung war, es gab deutsches Fernsehen. Das erste mal seit 2 Monaten. Zusammen saßen wir im Wohn-/Ess-/ und Schlafzimmer und unterhielten uns, während die 5 jährige Vika mit der im Schrank lebenden Ratte spielte. Gegen 21 Uhr gingen wir anschließend zusammen zum nahe gelegenen Fluss, wo Aylan ein riesiges Netz herauszog. Darin befanden sich lauter Flusskrebse. Diese wurden alle in einen Topf geworfen und langsam erhitzt. ( Die armen Viecher ). Lecker war es trotzdem. Ich bekam fast den gesamten Inhalt für mich alleine. Wow. Der Abend ging mit Chai und einem Disneyfilm für die Kleine zu Ende. Ich schlief auf einer Matratze in dem selben Zimmer wie Aylan und seine Tochter. Nach einem großen Frühstück wurde ich mit einem riesigen Lunchpaket verabschiedet.

Ich fuhr immer weiter ins Nichts hinein. Links und rechts gab es noch zwei bis drei Reihen von Bäumen und Büschen, aber dahinter war nur Graslandschaft. Ewig weite Steppe. Doch auch die paar Bäume und Sträucher, die einem die Illusion von Wäldern gaben, verschwanden. Um mich herum befand sich nichts. Tagtäglich werde ich angehalten und muss die üblichen Fragen beantworten. Zweimal ist es bisher sogar vorgekommen, dass ich mit Geld beschenkt wurde. Die Menschen winken und jubeln wenn sie mich sehen. Man fühlt sich wie ein Superstar. Das gibt einem dann immer noch ein bisschen extra Motivation.
Kasachstan ist allerdings gebirgiger, als gedacht. Insgesamt ist es sehr abwechslungsreich. Einige hundert Kilometer fährt man durchs grasige Flachland und dann befindet man sich plötzlich in einem Minigerbirge. Die Natur ist überwältigend. Bis auf ein paar überladene Lastwagen und den Wind hört man nur seinen eigenen Atem. Diese Landschaft strahlt eine ungemeine Ruhe aus. Riesige Gebiete waren vollkommen menschenleer. Nur gelegentlich trifft man auf kleine Oasen, an denen sich Mini-Dörfer angesiedelt haben.

 

An Nahrung und Wasser zu kommen wird dadurch immer schwieriger. Ich transportiere im Moment ca 5 Liter Wasser. Das reicht für einen Tag. Ungefähr alle 60-70 km kommen kleine Cafes. Meistens nur Container, die in the middle of nowhere stehen. Hier gibt es Wasser und gefüllte Teigtaschen. Wenn man Glück hat, noch irgendeine Suppe. Mein nächstes Ziel war Aktöbe. Eigentlich hätte ich keine Zeit gehabt länger als eine Nacht zu bleiben, aber ich entschied mich dennoch dafür. Mitten in der Mittagshitze, wo weit und breit kein Schatten war, wurde ich aufgegabelt und mitgenommen. Der nette Mann fuhr mich die letzten Kilometer nach Aktöbe. Ich habe mich entschieden, mir für bestimmte Dinge mehr Zeit zu nehmen. Wie zum Beispiel einen extra Tag in Aktöbe. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es mir nicht nur darauf ankommt von A nach B zu fahren, sondern die dazwischen liegenden Städte, Menschen und deren Art zu leben besser kennen zu lernen. Diese Reise ist für mich wahrscheinlich einmalig. Anfangs lag mein Fokus hauptsächlich nur auf‘ s reine Fahrradfahren. Inzwischen merke ich, wie mich meine „Umwelt“ zunehmend in den Bann zieht. Auch wenn das heißt im Notfall, um Zeit aufzuholen, etwas zu trampen. Ich werde trotzdessen tausende von Kilometern fahren. Und dafür werde ich am Ende wahrscheinlich doppelt soviel Erfahrungen und tolle Erinnerungen haben. Mir diese „Extra“Zeit zu nehmen, ist mir das wert. In Aktöbe besuchte ich einen Basar und ein riesiges Gebäude voller winziger Shops. Die verkauften alles, von Spielzeug und Schuhen bis hin zu Brautkleidern. Am Ausgang gab es dann noch ein Eis. Hier wird nicht per Kugel, sondern per Gramm bezahlt. Damit auch ja nichts verschenkt wird! Am Freitag ging es bei angenehmen 23 Grad weiter. Am Stadtrand traf ich auf zwei Hippies. Sie kamen auch aus Europa. Ich verstand leider kaum ein Wort von dem was sie sagten, aber lustig waren sie trotzdem. Der Grund dafür war wahrscheinlich die Tatsache, dass sie komplett dicht zu sein schienen und der eine eine Trommel und die andere eine Katze im Jutebeutel trug. Einige Kilometer später blieb ich abrupt stehen. Das konnte doch nicht sein… DOCH! Da standen doch tatsächlich Kamele am Straßenrand. Ich konnte es kaum fassen. Natürlich wusste ich, dass ich irgendwann auf der Reise Kamele sehen würde, aber jetzt als es soweit war… war ich überwältigt. Mir wurde mal wieder bewusst, dass ich mit meinem Fahrrad von Berlin aus bis nach Kasachstan gefahren bin. Soweit Südöstlich, dass es hier Kamele gibt. Unglaublich. Der Tag sollte noch besser werden. In einem kleinen Cafe bekam ich für umgerechnet 3,50 Euro eine gegrillte Hühnchenkeule, zwei gefüllte Teigtaschen und Pfannekuchen mit Vanillesoße. Dazu Chai. Das beste Essen seit Uralsk! Wenn man von West nach Ost durch Kasachstan reisen will muss man sich an der Stadt Karabutak einer Entscheidung stellen. Fährt man nach Norden oder Süden? Weiter geradeaus geht es nämlich nicht. Man muss erst hunderte Kilometer nördlich oder südlich fahren, bevor es wieder Richtung Osten geht. Nach einem kleinen Mittagsmahl entschied ich mich für die nördliche Route. Diese führt nach Qostanai und Astana. Die südliche ist deutlich befahrener, da sie in die Hauptstadt Almaty führt. Plötzlich war alles vollkommen leer. Zuvor waren alle paar Minuten ein paar LKWs vorbeigerauscht, jetzt herrschte Stille. Kaum jemand überholt mich oder kommt mir mehr entgegen. Und wenn, wird fast immer stehen geblieben, um Fotos zu machen. Mir gefällt hier alles sehr gut. Die Umgebung hat eine magische Aura. Man schaut in die ewig weite Ferne und sieht lediglich ein paar savannenartige Bäume, sowie Strohmmasten.


Die Dörfer kommen immer seltener, man trifft aber immer mal wieder auf ein paar Kuh- oder Schafsherden. Diese werden nicht immer mit Pferden in Schach gehalten, sondern oft auch mit einem Toyota Landrover. Das sieht dann immer sehr lustig aus. . Sich mit Essen einzudecken wird ebenfalls immer schwieriger. Ein Mann am Straßenrand führte mich zu einem Miniladen, der kaum etwas anderes als Brot und Kartoffeln anbot. Also war ich gezwungen daneben noch überteuerte Kekse und Riegel zu kaufen. Ich gönnte mir auch drei Äpfel. Die kosteten mal eben 2 Euro… Als ich weiter fuhr sah ich zu meinem Ärgernis einen größeren Laden. Darin fand ich dann zum Glück alles Nötige für die nächsten 3 Tage. So lange wird wahrscheinlich kein Laden mehr kommen. Komplet überladen machte ich mich anschließend auf dem Weg ins nächste Motel. Es war eigentlich zu teuer, aber mir blieb kaum was anderes übrig. Seit heute morgen hatte ich wiedermal Magen-Darm Probleme und die nächste Übernachtungsmöglichkeit würde in Qostanai sein ( 400-500 km entfernt ). Ich werde mich jetzt wohl oder übel daran gewöhnen müssen, immer seltener auf Menschen zu treffen. Viele Dörfer liegen nicht direkt an der Straße, sondern befinden sich mehrere Kilometer davon entfernt. Was das Trinkwasser angeht habe ich jetzt eine Möglichkeit gefunden, ca 8-10 Liter unterzubringen. Jetzt geht es ins Nichts und das wahre Abenteuer beginnt!

 

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9 Kommentare

  1. Lotta Juli 11, 2017

    Hej Sydney
    Your Blog is fantastic and what you are doing is so cool. Im inpressad and I wish you all the best. Looking forwards to the China part.
    Take care and be as carefull possible!
    Hugs from Lotta i Sverige

  2. Marija Juni 16, 2017

    Durch David bin ich auf denen Blog gekommen und lese seitdem immer mit. Bewundernswert was du da machst. Ich freue mich auf weitere Einträge. Viel Erfolg, Glück und Rückenwind!

    Grüsse aus Taiwan

    • sidney Juni 21, 2017 — Autor der Seiten

      Hallo Marija,
      vielen Dank für deinen Kommentar.
      Ich freue mich, dass dir der Blog bzw die Tour gefällt.
      LG aus Astana

  3. Leslie Juni 11, 2017

    Lieber Sidney, Deine Berichte bereichern auch mein Leben.
    Vielen Dank und alles Gute!
    Leslie aus Berlin

    • sidney Juni 12, 2017 — Autor der Seiten

      Das freut mich wirklich sehr zu hören. Alles gute zurück.
      LG Sid

  4. Eva-Maria Redler Juni 7, 2017

    Ein ganz fantastischer Bericht lieber Sydney! Weiter so, Schutzengel immer mit dir!
    Herzliche Grüße aus Paris,
    Eva-Maria Redler

  5. David Juni 6, 2017

    Erster!
    Man, die Landschaft sieht einfach wunderbar aus!
    Sehr schöne Fotos, man kann wenigstens ein bisschen erahnen wie weit die Landschaft ist!
    Alles Gute aus Berlin!

    • sidney Juni 8, 2017 — Autor der Seiten

      😀
      Ja, es ist trotzdem schwer das mit den Fotos zu vermitteln.
      Alles gute zurück!

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