In 7 Monaten über 11.000 Km mit dem Fahrrad nach Shanghai

Shanghai! Das verfrühte Ende einer langen Reise


Ich blieb noch einige Tage länger in dem eigentlich so schönen Hostel. Der Grund dafür war allerdings nicht die Tatsache, dass es mir dort so sehr gefiel, sondern weil ich wieder von dem Magen-Darmgedöns überrumpelt wurde. Meine Ernährung sackte also wieder auf ein Minimum zusammen. Erst einige Tage später stabilisierte sich mein Zustand wieder etwas. Am letzten Tag schrieen plötzlich einige Frauen auf. Mein Blick fiel auf den Boden und sofort war alles klar. Gemächlich schritt dort eine riesige Spinne quer durchs Hostel. Sofort holte ich meine Gopro und versuchte ein Foto von ihr zu machen. Da es sich dabei aber um eine Weitwinkelkamera handelte musste ich nah ran… sehr nah ran. So nah, dass vielleicht noch ein Zeigefinger zwischen der Spinne und meiner Hand Platz gefunden hätte. Bevor sich meine Kamera richtig scharf stellen konnte, schlug die riesige Spinne einen Haken und machte einen Satz auf meine Hand zu. Vor lauter Schreck fiel ich nach hinten.

Hostel Haustier

Leider kannte sich keiner der anwesenden mit Spinnen aus und so weiß ich immer noch nicht, worum es sich damals gehandelt hat und ob sie giftig war.

Am nächsten Tag ging es dann mit leichter Übelkeit zum 50km entfernten Bahnhof (Busse fuhren keine). Der Zug war offenbar die einzige Option. Da Chinesen sehr penibel sind und ich keine Lust auf erneuten Stress bezüglich meines Fahrrades im Zug (siehe z.B. Russland) hatte, schickte ich es separat nach Lanzhou. Anfangs gab wieder einige Diskussionen, doch nach einer 3/4 Stunde hatten die Bahnangestellten wohl auch keine Lust mehr und nahmen mein Fahrrad schließlich an. Ich kaufte mir ein Ticket im Sitzabteil/Holzklasse. Das Schwierigste war die 6 voll bepackten Taschen gleichzeitig hin und her zu tragen (da ich diese nicht aufgeben konnte). Mein geschwächter Körper zwang mich dazu sie alle 10 Meter irgendwo abzustellen. So schaffte ich es nur sehr knapp zu meinem Wagon. Dieser war bereits gut gefüllt. Ich setzte mich auf einen Platz neben eine chinesische Familie. Kaum fuhr der Zug los, fing das eigentliche Spektakel an. Eine Zugfahrt in China ist wie ein Basar auf Rädern. Sofort kamen mehrere Chinesen und preisten merkwürdig anmutendes Essen und Früchte an. Sie liefen von Wagon zu Wagon und erzählten dabei lautstark wie toll ihre Produkte doch seien. Zum Glück blieben sie sehr selten stehen und so hatte man immer wieder kurzzeitig Ruhe, bis der nächste Verkäufer kam. Nach der ersten Welle war erst einmal Schluss und ich versuchte mich etwas zu entspannen. Da hatte ich die Rechnung ohne die plötzlich kommenden live-Teleshopping-Chinesen gemacht. Diese blieben nämlich oftmals bis zu 10 Minuten pro Wagon stehen und priesen lauter Schrott an. Oftmals sensationell tolle Pulsmesser oder Massagegeräte, die man einfach unbedingt haben muss. Selbst ohne ein Wort chinesisch zu können, verstand ich fast jedes Wort. Jeder der einmal nachmittags Tele5 geschaut hat, weiß wovon ich rede. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und man wurde nur noch von den regulären Obst- und Gemüseverkäufern genervt. Die chinesische Reisementalität entspricht nicht unbedingt der deutschen. Es wird laut geredet, gelacht und geschrien. Viele gucken auf ihren Handys Filme, deren Ton aus billigen Lautsprechern dröhnt. Wieder andere telefonieren lautstark oder meinen dem Rest ihren schrecklichen Musikgeschmack aufdrängen zu müssen. An Ruhe war da kaum zu denken. Anfangs war mir noch schwindelig, doch das legte sich nach einiger Zeit. Ich bemerkte, dass ein paar Reihen weiter hinten etwas frei wurde und so nutze ich die Gelegenheit mich dort breit zu machen. Immer mehr Menschen stiegen mit der Zeit zu.

Wäre schwierig geworden da durch zu fahren.

Aussteigen wollte kaum einer. So wurde es dann richtig gemütlich. Mir gegenüber saßen zwei Jugendliche, die unbedingt eine Konversation mit mir anfangen wollten. Ich war noch ziemlich fertig und außerdem verstanden wir kein Wort des anderen. Nett waren sie trotzdem. Der eine fing irgendwann an, überteuertes verpacktes Obst (Mini-Nektarinen und Pflaumen) zu kaufen. Diese legte er dann vor mir ab und bettelte förmlich, dass ich etwas davon essen solle. Also tat ich ihm den Gefallen. Die Nacht war ruppig, heiß und der Schlaf wollte nicht kommen. Leider hatte ich nicht wirklich den schnellsten Zug erwischt, da dieser für die gesamte Strecke 23 Stunden brauchte. Am nächsten Morgen stiegen zu meiner Erleichterung viele Leute aus und so gab es etwas mehr Platz. Ich musste seit den frühen Morgenstunden mit starken Bauchkrämpfen und schmerzhaften Blähungen kämpfen. In China wird sowieso überall gerülpst und gefurzt, also schloss ich mich dem einfach mal an! Integration auf höchstem Niveau. Mit voran schreitender Zeit ging es mir zunehmend schlechter und das bekamen offenbar auch die umliegenden Reisenden mit. So wurde spontan Platz geschaffen, so dass ich mich zumindest halbwegs hinlegen konnte. Die letzten Stunden schlichen vor sich hin und so wurde die Fahrt immer schlimmer. Eine Zugfahrt die ist lustig, eine Zugfahrt die ist……. Nach einer schier endlosen Zeit kam ich dann am Bahnhof Lanzhou an. Ich schleppte meine Taschen heraus und musste sie sofort wieder abstellen. Sie waren zu schwer, zu unhandlich und ich zu fertig. Ein Mann mit einer Sackkarre kam auf mich zu und überredete mich die Taschen für mich für 4 Yuan zum 200 Meter entfernten Ausgang zu tragen. Einverstanden. Am Ausgang hieß es dann plötzlich 40 Yuan ( 5-6 Euro). Um eine längere Diskussion zu vermeiden, bezahlte ich den gierigen Mann und begab mich auf die offene Fläche vor den Bahnhof. Ich brauchte ein GPS-Signal, um meine Position bestimmen zu können. Ich hatte Angst den Bahnhof nicht wieder zu finden (irgendwann würde ich ja noch mein Fahrrad abholen müssen). Das GPS-Signal ließ auf sich warten. Nach 10 Minuten im strömenden Regen gab ich es auf und ging zurück zum überdachten Bereich. Dort fragte ich mehrere Leute aller Altersgruppen, wo wir denn seien. Die Reaktionen waren immer gleich. Ein bestimmtes „Nein“ oder Kopfschütteln, oftmals noch bevor ich meine Frage stellen konnte. Kein Mensch wollte mir helfen. Einige schauten noch eine Sekunde auf die Karte, drehten sich dann ohne ein Wort um und gingen weg. Ich gebe es offen zu. Selten habe ich so ein Hass in meinem Leben verspürt, wie auf diese Menschen. Ich wäre den Umstehenden am liebsten an die Gurgel gesprungen. Einige Passanten sahen offenbar meinen verzweifelten Gesichtsausdruck und fingen an auf mich zu zeigen und zu lachen. War das ein Witz? Ein Traum? Selbst die Chinesen leben im Jahr 2017 und Sitten hin oder her, was sollte denn das? Ich reaktivierte die letzten Kraftreserven und ging zum anliegenden Parkplatz, um ein Taxi zu suchen. Nirgendwo war eins zu sehen. Erst nach 10 Minuten Suche – die Taschen hatte ich zu diesem Zeitpunkt irgendwo stehen lassen, da mir ihr Schicksal mittlerweile egal war- fand ich einen Fahrer. Dieser wollte 100 Yuan um mich 5 Minuten weit zu fahren. 15 Euro, was in China viel, viel, viel zu überteuert ist. In Shanghai würde ich später für eine 20-minütige Fahrt gerade mal die Hälfte bezahlen. Ich zeigte ihm die Adresse und in seinem Blick bildete sich ein Ausdruck von Langeweile, Genervtheit und Ratlosigkeit. Erst nachdem ich ihm es auf der Karte gezeigt habe, fuhr er mich dort hin. Wie sich heraus stellte, war es die falsche Adresse. Ich musste mich mittlerweile vor Schmerz krümmen. Sowas habe ich noch nie in meinem Leben mitgemacht. Ein hilfsbereiter Student zeigte mir auf der Karte ein nahegelegenes Hotel und schrieb mir die Adresse auf chinesisch auf. Zum Glück stand direkt an der Straße ein Taxi und so stieg ich ein und zeigte dem Fahrer die Adresse. Wieder Ratlosigkeit. Er redete wild auf mich ein und ich wollte gerade schon wieder aussteigen, als der Student kam und dem Fahrer die Adresse erklärte. 5 Minuten später war ich in dem Hotel. Ja, dass macht dann bitte 44 Euro die Nacht! Mir war das zu diesem Zeitpunkt egal, da ich fast umkippte. So bezahlte ich und eilte aufs Zimmer. Dort hatte ich dann Durchfall und brach anschließend auf dem Bett zusammen. Das war es. Ich hatte genug! Ich dachte noch eine Weile nach und rief dann meine Eltern an um ihnen mitzuteilen, dass ich die Tour abbrechen würde. Die Situation war traurig, doch ich hielt es für die richtige Entscheidung. Ich befand mich bereits in der Mitte Chinas, in bereits großen modern wirkenden Städten, doch geändert hatte sich nichts. Die Chinesen hier waren genau so mies drauf, wie im Westen des Landes. Desinteressiert. Ich empfand so viel Wut und Verachtung für die Chinesen. Ich glaube, dass ich noch nie so viele negative Gefühle gegenüber einer Gruppe von Menschen hatte, wie gegenüber den Chinesen (Ich hoffe, dass mir das hier nicht als Rassismus ausgelegt wird. Ich beschreibe lediglich die Gedanken, die ich zu diesem Zeitpunkt hatte). Die nächsten Tage lag ich im Bett und fühlte mich wieder mit dem üblichen Hoch und Runter der Gesundheit nicht gerade toll. In einem kleinem Laden fand ich etwas Zwieback und Weißbrot. Nachdem ich wieder einmal nichts gegessen hatte, war das ein Segen. Ich redete und schrieb viel mit der Familie und Freunden. Alle akzeptierten meinen Beschluss. Es wurden mehrere Alternativen besprochen. Die wohl Realistischste war direkt nach Shanghai zu fahren, um dort einen Arzt zu konsultieren und anschließend auf´s Backpacking umzusteigen. Auf diese Art könnte ich dann China von einer ganz anderen Seite kennen lernen, ohne die ständigen Sorgen, die man als Radreisender hat. Mir gefiel die Idee und so zog ich sie ernsthaft in Betracht. In dem sicheren Zimmer war das natürlich einfach…..Nach einer Woche kaufte ich mir ein weiteres Zugticket (dieses mal mit Schlafplatz) und sorgte für den Weitertransport meines Fahrrades. Ich entsorgte drei meiner Taschen und machte mich schließlich auf den Weg zum Bahnhof. Alles lief glatt und mein gesundheitlicher Zustand war einigermaßen konstant. Im Zug gab es ein Essensabteil, wo es mir sogar gelang aus lauter Kuriositäten etwas normales zu bestellen. Letztendlich bekam ich etwas anderes, aber es schmeckte trotzdem sehr gut.

Die Zugfahrt dauerte wieder um die 24 Stunden, doch dank des Bettes war die Fahrt erträglich. Und dann war ich da: Shanghai!!!! Einerseits freute ich mich, doch andererseits hatte mich die Zugfahrt sehr müde und fertig gemacht. Bereits im Dunkeln (21 Uhr) ging ich wieder auf einen großen Platz vor dem Bahnhof um mich zu orientieren. Ihr könnt es euch vielleicht schon denken…Ja, das GPS-Gerät funktionierte wieder nicht. Na, immerhin war ich jetzt in Shanghai. Hier müsste es doch einige hilfsbereite Menschen geben. Oder auch nicht… Ein deja vu. Niemand wollte oder konnte mir weiterhelfen. Eine unbändige Wut keimte in mir auf. Ich trat gegen meine Taschen und fluchte vor mich hin. Ich war verzweifelt. Dieses Desinteresse, diese Ablehnung… In Deutschland würde man nach kürzester Zeit Leute finden, die einem zumindest versuchen würden zu helfen. Hier scheint es einfach Gang und Gebe zu sein, Fremde zu ignorieren. Ich packte meine Taschen vom Boden und lief in schnellen Schritten, ohne Rücksicht auf langsame Passanten, den Platz entlang um ein Taxi zu finden. Wieder war keines zu finden. Diese ganze Wut hatte einen Vorteil. Sie half mir Kräfte zu mobilisieren, die mir halfen, auf der Suche nach einem Taxi, meine Taschen pausenlos von links nach rechts zu tragen. Wieder fing es an zu regnen. Irgendwann sagte mir ein Hausmeister/Straßenfeger, dass man Taxis in einer Tiefgarage finden könnte. Nach einiger Zeit fand ich diese dann und schließlich auch ein Taxi. Ich zeigte dem Fahrer die Adresse von meinem Hostel und so fuhren wir los. Kurz darauf setzte er mich mitten in Downtown ab und fuhr weiter. Von einem Hostel war nichts zu sehen. Auf der einen Seite lagen kleine 1- bis 2-stöckige Häuser und auf der anderen riesige Bankgebäude. Dank meines kaputten Handys hatte ich keine Ahnung, wo ich mich befand. Ich stand inmitten einer Stadt mit 25 Millionen Einwohnern…25 Millionen!!! Die Passanten dort wollten mir leider auch nicht helfen. Ich rief meinen Vater an, der mit Hilfe meines GPS-Trackergeräts meinen Standpunkt ausfindig machen konnte. Ihn mir zu erklären, war das nächste Problem. So lief ich alle Straßen ein bisschen auf und ab, doch das Hostel blieb verborgen. Mehrere Taxis fuhren die Straßen lang und so wollte ich mein Glück erneut mit ihnen versuchen. Leider hielt keines an. Einige waren eindeutig leer und fuhren langsam, um Ausschau nach Kunden zu halten. Mich ignorierten sie trotz stark wedelnder Arme. Plötzlich änderte sich das Wetter schlagartig. Aus einem leichtem Niesel wurde schlagartig ein regelrechten Monsunregen. Einen richtigen Unterschlupf konnte ich nirgendwo finden. Lediglich die Überdachung einer Bank bewahrte mich vor dem Schlimmsten.

In dieser Situation empfand ich nur eines, Frust. Unendlich großenj Frust. Man soll niemals Entscheidungen treffen, wenn man wütend und aufgebracht ist, doch mir war das egal. Backpacken war in diesem Land keine Option für mich. Was hätte ich davon in einem Land mit solchen Menschen rumzureisen. Es ist schon auffällig, dass egal wo ich in diesem Land bin, mir immer wieder das gleiche Verhalten entgegengebracht wird. Mit Ausnahme einiger Menschen, die Fotos mit mir machen wollten (andere Backpacker hatten deutlich bessere Erfahrungen gemacht, aber ich hatte offenbar Pech. Viel Pech, oder was habe ich falsch gemacht?). Nachdem der starke Regen endlich aufhörte, suchte ich mir eine Straße aus und lief diese entlang. Die Taschen waren wieder schwer geworden, da die Wut dem Frust und der Traurigkeit gewichen war. Nach mehreren Minuten fand ich ein Cafe und setzte mich dort hinein. Auf die Frage, ob die Kassiererin mir ein Taxi rufen könnte (das Cafe war leer und sie hatte nichts zu tun) kam nur ein kurzes „No, try stand near street“. Ich versuchte mein Glück erneut. Und siehe da, tatsächlich hielt nach kurzer Zeit ein Taxifahrer an. Ich zeigte ihm die Adresse und wollte einsteigen. Er verriegelte die Türen, schüttelte den Kopf, gab mir die Adresse zurück und fuhr weiter. Ich fiel fast Rückwärts nach hinten auf den Boden. So etwas konnte es doch nicht geben. Ist das wirklich der Zustand in diesem Land? Oder hatte ich einfach die größte Pechsträne meines Lebens? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte hielt der Nächste an. Auch er schüttelte mit den Kopf, ließ sich aber überreden es zu versuchen. Wir fuhren zurück zu dem Punkt, wo mich der erste Taxifahrer abgesetzt hatte und der Mann hielt an. Sollte das ein Witz sein? Nach einer kurzen Diskussion fuhr er weiter und setzte mich 800 Meter weiter an dem lang gesuchten Hostel ab. Danke… Diese typische angenehme Hostelatmosphäre sprang mir sofort entgegen und so ging ich hinein zum Tresen. „Ein Zimmer Bitte, egal wie teuer oder mit wievielen anderen Personen zusammen.“.“Sorry, wir sind ausgebucht.“ Und so stand ich wieder da. Der gesamte Frust und die ganzen unterdrückten Emotionen holten mich wieder ein. Vor 20 Minuten hatte mir Booking.com noch freie Plätze hier angezeigt. Netterweise gaben sie mir das Wlan-Passwort und so suchte ich nach Alternativen. Während meiner Suche fand ich wieder das Hostel, in dem ich mich befand, mit freien Plätzen. Ich ging um Tresen und zeigte es Ihnen. Kurz darauf kam ein „Oh ja sorry, wir haben doch noch was frei…“ So buchte ich zwei Nächte in einem 8-Bettzimmer und entspannte endlich. Ich unterhielt mich mit zwei Holländern, die ähnliche Probleme mit Taxis und Co hatten. Jedoch reisten sie nur 2 Wochen durch China und waren öfters in fest gebuchten Hotels unterwegs. Erst um 4 Uhr Nachts konnte ich mich ins Bett legen. Die Anstrengung und die Emotionen der letzten Stunden mussten erstmal verarbeitet werden. Ich hielt mir meine Optionen vor Augen und überlegte, was ich machen sollte. Einerseits wollte ich direkt aufhören und den nächstbesten Flug nach Hause nehmen. Doch ich machte mir um meinen Gemütszustand Sorgen. Wollte ich „so“ diese Reise beenden? Fast fluchtartig, ein muffiges Hostel mit schnarchenden Chinesen als letzten Eindruck?

Was wäre wenn ich durchgehalten hätte? Ob nun mit dem Fahrrad oder dem Backpack. Hätte ich weitere 5 Wochen durchgehalten, wäre mein Vater nach Shanghai geflogen, um dort mit mir ein paar tolle Tage in einem richtig schönen Hotel zu verbringen. Die Alternative klang dabei eher wie ein Trostpreis fürs Versagen.

Jetzt sofort nach Hause zu fahren hätte aber auch was…

Aber würde ich das wirklich können, ohne mir später Vorwürfe machen zu können?

Nach langem Nachdenken fasste ich einen Entschluss. Ich würde mich für einen Mittelweg entscheiden. Abbrechen. Nicht mehr weiterreisen und im Gegenzug gönne ich mir noch eine knappe Woche ein affengeiles 5* Hotel mit Dachpool, dass es auf Booking.com gerade als „Sonderangebot“ gab. Ganze 6 Nächte!!!! Allein aus psychologischen Sicht wollte ich mir dieses Goody leisten. Das viele Geld war es mir wert. Am nächsten Morgen traf ich den Somalier Solomon, der kurz davor ist, als Zahnarzt zu promovieren. Zusammen liefen wir durch die Stadt und schauten uns am „Bund“ (am Rand des Flusses der Shanghai durchfließt) die Skyline und einige Parks an.

Ja das gibt es wirklich. In einer der wichtigsten und größten Stadt Chinas wird das Gerüst noch aus Bambusrohren gebaut 😀

 

Am Abend traf ich dann Sandra und ihre Familie. Sie ist eine Bekannte eines guten Freundes meines Vaters. Sie lud mich zum Essen zu sich nach Hause ein. Die Wohnung befand sich in einer wunderschönen Anlage. Im Fahrstuhl der endlos lang nach oben zu fahren schien, hing ein riesiger Spiegel. Als ich mich anschaute, erschrak ich. War das da wirklich ich? In dem Spiegel sah ich einen langen, müden und vor allem dünnen Menschen stehen. Meine Wangenknochen guckten leicht heraus, da ich offenbar auch im Gesicht einiges an Gewicht verloren hatte. Mir wurde bewusst, was ich ich in den letzten 4-5 Wochen, die ich mich schon in China befand, quasi nichts gegessen hatte. Ab und zu eine Portion Nudeln, von der ich kaum etwas runter bekam, da mein Magen bereits so klein geworden war. Neben den zwei Tagen in dem Hostel in Turpan, dem Zwieback und dem Fisch im Zug, hatte ich eigentlich kaum was gegessen – wahrscheinlich aus Angst vor stärkeren Magen-Darm-Beschwerden, die einfach nicht aufhören wollten. Aber heute würde es etwas Richtiges geben!!! Die erschreckende Beobachtung rückten durch einen sehr netten Abend mit Sandra und ihrem Kind in den Hintergrund. Wir unterhielten wir uns bis spät abends. Sie waren auch erst seit kurzem in Shanghai, doch sowohl Sandra als auch ihr Mann hatten eher positive Erlebnisse. Irgendwas scheine ich doch falsch gemacht zu haben. Mir war das aber egal, da mein Entschluss fest stand.
Am nächsten Morgen fuhr ich in das wahrscheinlich edelste Hotel, in dem ich jemals in meinem Leben gewesen war. Die Tür von dem Taxi wurde geöffnet, alle Taschen wurden getragen und alle Türen geöffnet. Überall standen unzählige Mitarbeiter. Wow. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Im Zimmer ging es mir kurzfristig wieder schlechter und die Geschichte endete wieder auf dem Klo. Doch seitdem geht es mir einigermaßen gut, von einigen kleineren Übelkeitsattacken abgesehen. Im Bad befand sich eine Waage. 71 Kilo… Vor einem Monat waren es noch 82Kg. 13 Prozent meines Körpergewichts fehlten.

Den Arztbesuch verschob ich auf Deutschland. Dort werde ich direkt am ersten Tag ins Tropeninstitut gehen, um alles abzuklären. Seit dem genieße ich die Zeit, Stunde für Stunde. Das Zimmer liegt im 22. Stock und bietet neben einem riesigen Bad und Kingsize-Bett, eine atemberaubende Aussicht auf die Stadt.

Die letzten Tage habe ich damit verbracht mein Fahrrad abzuholen, den Rücktransport zu organisieren und mehrere Märkte zu besuchen. Die typisch chinesischen Kleidermärkte, sind eine lustige Erfahrung. Mitten in einer U-Bahnstation finden sich hunderte kleine Läden und Stände, die alle möglichen Klamotten, Uhren und Schnickschnack anbieten. Alle Europäer, die gesichtet werden, werden sofort umschwärmt und umkämpft. „ohhh so tall…. you so good looking, come to my stooore, good price my friend, special price for youu….“. Und ja, sie klangen genau so, wie ihr es euch jetzt wahrscheinlich gerade vorstellt. Ich kaufte mir einen Koffer für die Reise und einige T-Shirts. Anschließend ließ ich mir einen Anzug maßanfertigen ( ich informierte die Englisch sprechende Schneiderin über meinen Gewichtsverlust ) und bezahlte für einen kompletten Anzug samt zwei Hemden 110 Euro. Hoffentlich passt alles.
Die vergangenen Tage, ohne den Druck waren wunderbar. Ein schöner, erholsamer Abschluss. Das Hotel kannte jeder Taxifahrer und im Hotel werden alle Taxifahrer über das Wunschziel des Gastes informiert. Ich sitze oft am Pool oder in meinem Zimmer und gucke auf die wunderschöne Skyline und denke mit einem breiten Lächeln an die positiven Erlebnisse. Trotzdem freue ich mich auf Zuhause. Es gibt immer noch viel zu verarbeiten. Es ist irgendwie traurig, dass der ursprüngliche Plan gescheitert ist. Ich habe es nicht geschafft, mit dem Fahrrad nach Shanghai zu fahren. Andererseits sagt der Titel ja „Mit dem Fahrrad nach Shanghai/Allein nach Shanghai“ und irgendwie stimmt das ja. Ich bin alleine vor 4 1/2 Monaten mit dem Fahrrad aufgebrochen und habe mich durch alle nur erdenkliche Strapazen gequält. Ich habe mich durch irren Gegenwind, betrunkene Polen, sturköpfige Bahnbeamte und unzählige weitere Hürden gekämpft. Und nun stehe ich mit meinem Fahrrad in Shanghai.
Was ich unterschätz habe, ist das Thema Gesundheit. Meine anhaltend schlechter Zustand hat mich gezwungen am Ende umzudisponieren. Aber es war die Tour meines Lebens. Eine Tour, die gewissermaßen mein Leben und die Denkweise an viele Dingen verändert hat. Eine Tour, die ich vollkommen alleine von Anfang bis zum Ende geplant und durchgezogen habe. Bei der ich gelernt habe, wie es ist, monatelang von Zuhause und allem Vertrauten weg zu sein und alleine auf eigenen Beinen zu stehen. Nun freue ich mich auf Zuhause. Mein mir nur allzu bekanntes Leben. Das Leben, dass seinen geregelten Gang geht. Von dem sich viele mehr erhoffen und sich ständig beschweren (mich teilweise inbegriffen), ohne zu wissen, was sie eigentlich alles haben. Einen Kühlschrank, ein Bett, eine warme Wohnung und immer genug zu Essen. Ich hatte das nun eine lange Zeit lang nicht. Doch viele, die ich getroffen habe, hatten es nie und werden vieles davon wahrscheinlich nie haben. Das hat die meisten jedoch nicht gehindert, mir offen entgegen zu treten, mich einzuladen und mir dabei ihre Gesellschaft, ihre Freude und ihre Freundschaft anzubieten. All das werde ich niemals vergessen. Viele der Erlebnisse habe ich mit meiner Kamera festgehalten, doch wird diese niemals alles widerspiegeln können. All das habe ich in meinem Kopf, nur für mich zugänglich abgespeichert und freue mich nun in Zukunft jeder Zeit darauf zugreifen zu können.
Meine Tour ist hiermit zu Ende, und ich kehre nun heim.

Vielen Dank an alle Leser, Kommentierer und Unterstützer. Viele von euch haben mir geholfen auch die schweren Zeiten erfolgreich durchzustehen. Ein Dankeschön auch an die vielen Menschen, die mir überall auf der Welt mit Rat und Tat zur Seite standen, mich eingeladen und beschenkt haben. Viele haben oft mit Kleinigkeiten geholfen. Die meisten von ihnen werden vermutlich niemals wissen, wie sehr sie mir geholfen haben. Ich wünsche meinen Lesern alles Gute und die Erfüllung eurer Wünsche. Das Wichtigste ist, seinen Träumen zu folgen, egal wie viele einen dafür für verrückt erklären. Ich erinnere mich an einen 15-jährigen Jungen, der eines Abends eine Dokumentation sah und sich in dieser Sekunde dazu entschloss, mit dem Fahrrad bis nach Shanghai zu fahren.

Der erste Tag. 5 km außerhalb von Berlin

3 Monate später mitten in Kasachstan

137 Tage später stehe ich in Shanghai

 

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12 Kommentare

  1. https://uchinoshitsuji.com August 5, 2021

    Best view i have ever seen !

  2. Seto August 31, 2017

    Ich hoffe, dass Du gut heimgekommen bist.
    Deine Taximitfahrgelegenheit in Shanghai.
    Lg Seto Bahceli

  3. Ulf August 20, 2017

    Fan så berikad du är. Av upplevelser, intryck, problem och lycka. Tänk vilken stor vikt ditt projekt har i ditt CV. Välkommen hem till „det normala livet“, till trygghet och komfort, kära människor som älskar dig.
    Kram
    Din fan club.

  4. Titti & CO August 19, 2017

    Vi är så väldigt imponerade över att du gjort denna resa. Vilken styrka, vilken beslutsamhet och vilken viljekraft!
    Varmt välkommen hem Sidney! Vi är många som drar en lättnadens suck för att du är hemma välbehållen efter dina äventyr. Nu ser vi fram emot någon gång när vi kan få höra lite mer av dina spännande upplevelser. Varmaste kramen från oss alla i Särö!

  5. Eva-Maria Redler August 19, 2017

    Lieber Sydney,
    Ich hab gerade deine letzten beiden Berichte gelesen – du hast Unvorstellbares durchgemacht, ich umarme dich herzlich und freu mich, dass du wohlauf bist!!!
    Herzlich grüßt dich Eva-Maria Redler aus Kirgistan.

  6. Volker August 17, 2017

    Wow! Sidney,
    ich habe an jedem Wort deines Blogs gehangen und kann dir nur gratulieren, dass du so viel erreicht und soviel dazugelernt hast. „Erinnerungen sind das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Welcome back.

  7. Christof August 16, 2017

    Hallo Sidney,
    heute vor einem Jahr hast du mir von deinem Reiseplan erzählt. Ein spontanes, breites Lächeln hielt sich damals lange auf meinem Gesicht bei unserem Gespräch. Es war der Ausdruck meiner Bewunderung, meiner Skepsis, der Erinnerung eigener Träume. Als du mich bei der Ergänzung deiner Ausrüstung um Rat gebeten hattest wusste ich- dieser lange, sympathisch aufgeschlossene Typ wird es schaffen-. Dein Umweg Richtung Norden, begleitet von Regen, Schnee, die Kilometer bei Blitz, Donner, Gegenwind und der Kampf gegen LKW-Rowdys wiegen die Bahnfahrt in China allemal auf. DU HAST ES GESCHAFFT! Du hast DEIN Ziel erreicht! Respekt, lieber Sidney. Du hast mich mit deinen Augen Menschen und Länder sehen lassen, mich gefesselt mit deiner lebendigen Beschreibungen der Reise, deine Sicht auf Begegnungen, Situationen, deine Gefühle und Gedanken. Die Lektüre wird mir fehlen.
    Willkommen zu Hause!!
    Christof

  8. Lumi August 15, 2017

    Hallo Sidney!
    Ist es nicht großartig und bewundernswert, was Du in die Wege geleitet hast? Allein der Gedanke, so ein Projekt zu starten, bereitet den meisten Angst.
    Wie viele von uns Menschen würden überhaupt so eine Reise antreten und durchziehen?
    Großen Respekt und viel Bewunderung für Deine starke Leistung!!
    Du hast Shanghai erreicht, Deine Entscheidung fühlt sich gut an und alles andere hat jetzt weniger Bedeutung.
    Es war unglaublich spannend, Dein Blog zu verfolgen und mit Dir mitzureisen!
    Genieße die restliche Zeit und einen guten Heimflug!
    Lumi

  9. Petra August 15, 2017

    Lieber Sidney,
    du hast soviel erreicht und erlebt.

    Ich habe oft gedacht, das kann doch nicht wahr sein, dass du weiter fährst….. Laaaange vor diesem Ende.

    Sei stolz auf dich und schreibe weiter!!! Es liest sich so schön und das werde ich wirklich vermissen.

    Welcome Home!!

  10. christian August 14, 2017

    Alles richtig gemacht!
    Enjoy und gute Besserung!

  11. Kai August 14, 2017

    Hallo mein Weltenbummler,

    Auch ich kann Deine Entscheidung so gut nachempfinden.
    Genug ist genug. Und die Gesundheit geht vor. Du hast Dein Ziel erreicht. Ich beneide Dich um diese vielen einzigartigen Erfahrungen, die Du machen durftest. Für mich bist Du schon eine Ewigkeit unterwegs. Ich freue mich so doll, Dich wieder in die Arme schließen zu dürfen .. dicken Puss. Kai

  12. Marlene August 13, 2017

    Hey Sidney, ich verstehe deine Entscheidung und finde es richtig stark, dass du so weit gekommen bist.
    Du hast so einen tollen Schreibstil, das liest sich richtig angenehm. Schreib doch ein Buch über deine Reise. Ich hab deinen Blog immer gerne gelesen und glaube, dass ich da nicht die einzige war.
    Ich wünsche dir alles Gute und genieße die Zeit in Shanghai so gut es den Umständen entsprechend geht 😉 Marlene

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