In 7 Monaten über 11.000 Km mit dem Fahrrad nach Shanghai

Nächtlicher Besuch

Vom großen Bogen zum Überspannten Bogen:

Der Weg raus aus Warschau entwickelte sich schwieriger als gedacht. Vor allem da mein Navigationsprogramm mich permanent auf die Autobahn schicken wollte. Selbst im Fußgängermodus. Zu allem Überfluss begann es dann auch noch schrecklich zu regnen und sogar kurzzeitig zu hageln. Insgesamt habe ich 2 1/2 Stunden gebraucht, um ganz aus Warschau raus zu kommen. Als ich weiterfuhr, wollte der Regen einfach nicht aufhören. Irgendwann versagte dann der Reißverschluss meiner Regenjacke und ich wurde vollends nass. Man kennt ja wahrscheinlich das Phänomen, wenn sich am Rande der Straße Fützen bilden, die zu regelrechten Waagerecht-Duschen werden, sobald ein Auto hindurch fährt. Das Gleiche durfte ich auf der Landstraße mit LKW s erleben. Irgendwann war ich durch das Matschwasser komplett braun (gespült).

An diesem Abend änderte ich dann meine Route und beschloss nicht durch Weißrussland zu fahren. Ein Telefonat mit der Weißrussischen Botschaft ergab, dass es seit neuestem Schwierigkeiten für Westeuropäer und vor allem für Deutsche gab, über Weißrussland nach Russland einzureisen. Also entschied ich mich sicherheitshalber einen „kleinen“ Umweg zu nehmen. Am nächsten Morgen vollzog ich eine 90 Grad Wendung und fuhr Richtung Norden. Mein Neuer Plan: Mit dem Fahrrad von Polen nach Litauen, dann nach Lettland und dann über die internationale Grenze nach Russland. In Russland muss ich dann schauen, wie weit ich mit dem Fahrrad komme, da ich nur ein sehr kurzes Visum von 30 Tagen bekommen habe. Irgendwann werde ich also den Zug nehmen müssen, um ein bisschen weiter nach Süden zu gelangen.
Was ich dabei allerdings nicht vorhergesehen hatte, dass der bisherige (Nord) Seitenwind zum Frontalwind wurde. Dieser bremste mich bereits am ersten Tag so ab, dass ich gerade mal die Hälfte meines eigentlichen Tagesziels schaffte. Vollkommen fertig und ermüdet machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Platz zum Zelten. Bereits nach kurzer Zeit fand ich dann ein wunderschönen Ort. Eine erhöhte Stelle, von der aus man eine super Aussicht hatte. Auf der einen Seite des Zeltes lag der Wald und auf der anderen ging es senkrecht ca. 5 Meter nach unten zu einem halb ausgetrockneten Baggersee. Ich war überzeugt, dass man mich von der Straße aus nicht sehen konnte. Da ich von dem windigen Tag vollkommen fertig war, ließ ich das Kochen aus und aß noch ein paar Nüsse, Obst und Kleinkram.

Nachdem es angefangen hatte dunkel zu werden, legte ich mich ins Zelt und war bereits kurz vorm einschlafen, als ich plötzlich lautes Geschrei hörte. Ich griff mir mein Pfefferspray und mein Messer und schlich mich hinaus. Im Schutze des dunklen Waldes beobachtete ich einen torkelnden stämmigen Mann, der so damit beschäftigt war in sein Handy zu fluchen und zu schreien, dass er alle paar Meter umkippte. Als er dann irgendwann der Meinung war, seinen Gesprächspartner genug angeschrien zu haben, setzte er sich auf sein Fahrrad und startete den kläglich scheiternden Versuch weg zu fahren. Nachdem er unzählige Male gemault hatte und jedes mal laut „Kuuurwaa“ rief, gab er es auf und setzte sich an den tiefer gelegenen See. Dort flucht er weiter vor sich hin und begann das nächste Telefonat. Anschließend fing er an, in meine Richtung zu torkeln. Ich umrundete ihn und sprach ihn dann von der Seite aus an. In der Hoffnung, dass er meinem Zelt keine Beachtung schenken würde. Mein Messer und das Pfefferspray versteckte ich hinter meinem Rücken in der Hose klemmend. Der sichtlich verwirrte Pole fing an wild auf mich einzureden und wurde dabei immer lauter, was ihm selber aber offensichtlich nicht auffiel. Leider verstanden wir offensichtlich kein Wort des Anderen, da er kein englisch und ich kein polnisch kann. Nach einiger Zeit rieb er dann seinen Daumen und seinen Zeigerfinger und sagte wieder und wieder Euro. Da ich denkbar wenig Lust hatte, ihm Geld aus dem Zelt zu holen und ihm dabei den Rücken zuzukehren, stellte ich mich dumm. Das funktioniert meistens. Allerdings hatte ich dabei außer acht gelassen, dass der betrunkene Pole offenbar kein Zeitgefühl mehr besaß und so redete er ca. 15 Minuten auf mich ein und rief dabei immer wieder „Kurwa“, was so viel wie Scheiße heißt.
Einige Zeit später gab ich dann nach und gab ihm alles was ich an Kleingeld in der Tasche hatte. ca 8 Slotty ( 2 Euro ) und einen Euro. Während er dann wieder anfing, vor sich hin zu brabbeln, torkelte er teilweise meterweit weg und stieß so zwangsläufig irgendwann auf mein Zelt. Er fing an, es einige Male zu umrunden und versuchte dann reinzuklettern. Jetzt hatte ich die Schnauze voll, packte ihm am Kragen und zerrte ihn weg. Ich versuchte mit Gesten klar zu machen, dass ich jetzt schlafen gehen würde und ließ ihn dann vor dem Zelt stehen. Glücklicherweise ging er dann auch.
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Ich legte mich wieder in meinen Schlafsack und war endlich dabei einzuschlafen.
Irgendwann schreckte ich auf und horchte in die Dunkelheit. Ich hörte Stimmen und sie kamen näher. Und dieses mal waren es mehrere. Vorausahnend zog ich mich an und „bewaffnete“ mich wieder, als jemand an meinem Zelt klopfte und rief: “ Hey, you there? Speak English ein bisschen!/? „. Mittlerweile war es 23 Uhr. Ich öffnete das Zelt und vernahm direkt den starken Geruch von Alkohol. Kaum das ich draußen war, wurde ich umzingelt und an einen Baum gedrängt. Vor mir standen drei Polen. Der eine von vorhin, sowie ein anderer stämmiger ca. 40 Jahre alter Mann sowie ein dünner 25 Jähriger. Der Junge stellte sich als Alex vor. Die anderen beiden bekamen keine namentliche Vorstellung. Er versuchte mit einigen wenigen Worten auf englisch mit mir zu kommunizieren, während der Neue (stämmige) mir die ganze Zeit seine Wodkaflasche vor die Nase hielt. Nachdem ich diese wieder und wieder ablehnte und wegdrückte, holte dieser mit der Flasche aus und machte Anstalten, sie mir über den Kopf zu ziehen. Da ging der junge dazwischen und sagte: „Easy now“, „sorry, but my friend here crazy“. Für solche Fälle hatte ich eine Zigarettenpackung dabei, die ich den Polen schenkte. Gierig wurde diese dann aufgerissen und untereinander aufgeteilt. Anschließend redeten alle auf mich ein und die beiden älteren fingen, sehr zur Belustigung von Alex, eine Prügelei an. Einer musste dabei ziemlich einstecken und blieb irgendwann am Boden liegen, während der andere mir wieder mit seiner Wodkaflasche kam. Als ich sie nochmals wegdrückte und er wieder ausholte, griff ich nach dem Pfefferspray, doch in der Sekunde sprang der am bodenliegende Pole auf und haute dem Flaschenmann von hinten gegen den Kopf. Sie wälzten sich am Boden hin und her und kamen dabei meinem Zelt immer näher. Erstaunlicherweise hatte ich mehr Angst um mein Equipment, als um mich selber, und so war ich froh, dass sie diesem keinerlei Beachtung schenkten. Die Prügelei ging dann noch einige Zeit weiter und irgendwann versuchte ich dann Alex klar zu machen, dass ich sehr müde sei und jetzt schlafen gehen wolle. irgendwann gab ich es auf zu versuchen, ihm zu erklären was ich meinte, sagte bye und ging in mein Zelt. Nach einigen schmerzhaft klingenden Schlägen trollte sich die Bande dann schließlich. Im Schlafsack eingewickelt schlief ich direkt ein.
Am Morgen des nächsten Tages um 8:30 wurde ich dann von dem Ur-Polen (der mich entdeckte) geweckt , der sich in meinem Vorzelt (meinem Taschenlager) zu schaffen machte. Ich konnte es nicht fassen und bugsierte ihn wieder raus, während ich ihn auf englisch anschnauzte. Da diese Maßnahme keinerlei Wirkung zu zeigen schien, versuchte ich ihn zu fragen was er denn wolle. Natürlich. Er rieb wieder seine Finger gegen einander. Alle Versuche ihm klar zu machen, dass ich ihm nichts geben würden scheiterten und so ging ich zu einer List über. Ich holte einen Stift und ein Papier, malte eine Uhr und schrieb auch nochmal 12 pm daneben. Ich zeigte ihm mit Gesten, dass ich noch müde sei und noch schlafen wolle und dass er um 12 wieder komme solle. Dann würde er sein Geld bekommen. Irgendwann stimmte er zu und schrieb noch “ 10 Euro“ auf das Papier bevor er ging. Nachdem der immer noch betrunkene Idiot außer Sichtweite war, packte ich meine nach Alkohol stinkenden Sachen zusammen und wollte losfahren. Beim Beladen bemerkte ich, dass meine Flaggen fehlten. Die drei Polen mussten irgendwann Nachts wiedergekommen sein und sich einen Meter neben meinem Schlafplatz an meinem Fahrrad zu schaffen gemacht haben. Glücklicherweise schien es ansonsten unbeschädigt zu sein und so fuhr ich los.
Ca 10 Kilometern später hielt ich an, um das Geschehene zu verarbeiten. Einerseits war ich geschockt, andererseits musste ich mir ein Grinsen verkneifen, dass dieser Vollhorst ernsthaft geglaubt hat, dass ich ihm um 12 Uhr vor meinem Zelt Geld geben würde. Er hatte den Bogen überspannt.
Im Nachhinein betrachtet, hätte einer dieser Begegnungen wirklich schlimm enden können. Zum Glück sitze ich jetzt in einem 70 Kilometer entfernten Motel und weiß, dass das eine Erfahrung ist, die ich mein Leben lang behalten werde.

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4 Kommentare

  1. Sigrid April 16, 2017

    Hi Sidney, top wie ruhig du geblieben bist und die Situation entschärft hast. ….und du schreibst toll…man hat das Gefühl mitzufahren …..alles Gute weiterhin, lieben Gruß Sigrid

  2. Petra April 12, 2017

    Mensch Sidney…Du bist echt mutig!!! Sei aber auch nicht zu naiv, denn die Jungs sind, glaube ich, nicht zu unterschätzen, wenn sie alkoholisiert sind.

  3. Leo April 11, 2017

    Haha, witzige Geschichte Sidney, gut wie vorsichtig du in dieser Situation gewesen bist!
    Pass auf dich auf!
    Liebe Grüße Leo und Marlene!;)

    P.S. Dein Schreibstil ist sehr schön, so dass man sich sehr gut in deine Geschichten hineinversetzen kann! 😉

    • Sidney April 12, 2017

      Ja, zum Glück ist ja alles nochmal gut gegangen.
      Vielen Dank für das Kompliment 😉
      Wann geht es denn bei euch los,?

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