In 7 Monaten über 11.000 Km mit dem Fahrrad nach Shanghai

Internjet

….Ja es scheint tatsächlich warm zu bleiben. Mindestens 20 Grad sowie strahlender Sonnenschein würden mich die nächsten Tage begleiten. Am 01.05. bin ich um 9 Uhr vom Hostel in Moskau los gefahren. Mein Ziel war einer der zahlreichen Bahnhöfe die vor mir lagen. Ich hatte mir im Internet eine Verbindung heraus gesucht, welche mich in den Süden nahe der weißrussisch/ ukrainischen Grenze bringen würde. Am Bahnhof angekommen, versuchte ich verzweifelt eine Kasse zu finden. Mit dem Fahrrad an meiner Seite war das eine Qual. Das alte Bahnhofsgebäude hatte lauter kleine Treppen, ein „TRAUM“ für mein Fahrrad…. Die meisten Leute die ich ansprach, guckten mich nur verächtlich an und gaben entweder gar keine, oder nur eine sehr ungenaue Antwort. Gut das war halt Moskau. Irgendein komisch aussehender Typ mit einem dreckigen Fahrrad, das war den „Moskauwitern“ wohl suspekt. Der hat sicher kein Geld, ergo brauche ich dem nicht helfen. Diese Einstellung machte mich traurig und wütend zugleich. Wie kann es denn sein, dass einen vier von fünf Passanten ignorieren, wenn man sie nach dem Weg fragt. Einen Infoschalter gab es nicht und das herumstehende Bahnhofspersonal schien auch kein großes Interesse daran zu haben, sich meinem Problem zu widmen. Und wenn, dann wurde ich nur von A nach B geschickt. Bei B wurde ich dann wieder zu A geschickt… Nach einer 3/4 Stunde kam dann ein junger Gepäckträger zu mir ( Ja die gab es da zuhauf ) und gab mir eine einigermaßen detaillierte Beschreibung zur nächsten Kasse. Mit dem Ticket in der Hand stand ich dann 20 Minuten später am Zug. Dieser entpuppte sich allerdings als Nachtzug. Und wieder schüttelte die Schaffnerin den Kopf und sagte „njet“. Das gibt es doch nicht. Ich hatte doch extra einen Zug ausgesucht der mitten am Tag fuhr. Einige Minuten später kam dann meine Retterin. Eine junge Zugbegleiterin – die ganz offenbar etwas zu sagen hatte – wies die alte Schaffnerin in die Schranken und begleitete mich zum letzten Zugwagon. Dieser war für das Personal. Da konnte ich nun das Fahrrad samt Taschen hinstellen. Im selben Augenblick sackte ich vor Erlösung fast zusammen. Erst jetzt registrierte ich, dass ich mir schon das worst-case-szenario ausgemalt hatte. Jeden Tag mindestens 100 km um die verlorene Zeit aufzuholen… Das Glück war auf meiner Seite. Am Vorabend hatte ich mir bereits ein kleines Hotel heraus gesucht. Ich wollte mir dort neue Karten herunterladen. Aber wie bereits so oft in Russland machte mir das Internet einen Strich durch die Rechnung. Mittlerweile gibt es auch in Russland häufig offene Netzwerke. Bei diesen muss man sich „lediglich“ mit seiner russischen Handynummer anmelden. Die Vorwahl für Russland ist dabei bereits einprogrammiert.Das macht es für Ausländer unmöglich sich anzumelden. Dass das in Cafes, Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten so ist, war noch akzeptabel, aber jetzt auch noch im Hotel….

Um Geld zu sparen wagte ich ein Experiment und teilte mir das Zimmer mit einem Russen. Dieser wirkte sehr ärmlich ,was ihn aber offenbar nicht davon abhielt fröhlich gestimmt zu sein. Sofort zeigte er mir seine Schätze im zimmereigenen Minikühlschrank. Davon könne ich haben was ich wolle. Abends schenkte er mir dann noch eine Orange. Es war unglaublich, an einem Tag diesen wahnsinnigen Kontrast feststellen zu können. Morgens noch die eingebildeten Moskauer, die mich keines Blickes würdigten und abends dann der arme Mann, der alles teilt was er hat. Da konnte ich ihm sogar das anhaltende Schnarchen verzeihen. Mein nächstes Ziel war Woronesch. Eine Stadt voller Autos mit kaum Bürgersteigen. Der Weg hinein war der bisher schlimmste Stadtverkehr, den ich miterleben musste. Die Sonne knallte erbarmungslos, während ich mich auf dem Seitenstreifen einer Autobahn langsam der Stadtmitte näherte. Einen anderen Weg hinein gab es nicht. An für sich war es ganz okay, bis auf die Stellen, an denen der Seitenstreifen auf nimmer Wiedersehen verschwand. Das fanden weder die Autofahrer noch ich so prickelnd.


Am frühen Abend kam ich schließlich unbeschadet am Motel an. Versprochen wurde mir ein Ein-Bett-Zimmer mit Bad. Statt dessen bekam ich für den Preis ein Hostelzimmer im fensterlosen, stickigen Keller. Sobald man das Licht ausmachte war es stock finster und es roch nach Poolkeller.

Bunkerfeeling in Woronesch

Und auch hier wieder kein funktionierendes Internet. Lediglich alle drei bis vier Stunden funktionierte es für zwei Minuten. Die Internetsituation in diesem Land ist für Ausländer wirklich ätzend. ( Wobei man sagen muss, dass es in besseren Hotels sicher funktioniert ). Glücklicherweise sollte sich meine Stimmung einige Stunden später wieder heben, als ich endlich meinen Pass mit dem kasachischen Visum in der Hand halten konnte. Der Weg hinaus entpuppte sich als ähnliche Hürde, wie die Fahrt hinein. Lediglich die Imbissstände am Straßenrand konnten meine Stimmung heben.

Die nächsten Tage teilte ich mir mit unzähligen LKWs die engen, einspurigen Landstraßen. Eine Vielzahl der Fahrer machten sich nicht einmal bei freier Gegenfahrbahn die Mühe einen Sicherheitsabstand zu halten. Die meisten der Fahrzeuge hätte ich mit ausgestreckter Hand berühren können. Die Nächte im Zelt waren „un“erholsam, da ich seit Woronesch eine Erkältung mit mir herum trug. Ich durchquerte viele kleine Dörfer und Städte die überall Flaggen der Sowjetunion aufgehängt hatten. Autos mit offenen Fenstern und lauter Marschmusik übertönten gelegentlich das Getöse der vollen Gehwege. Die Russen feierten, und das sollte jeder mitbekommen. Viele trugen ihre Uniformen und wehten mit Sowjetflaggen. Fast schon einschüchternd. Ich vermied es mich länger als nötig in diesen Städten aufzuhalten. Einen Deutscher war sicher das Letzte, was die hier wollten. Am Montag (08.05.) erreichte ich dann Borisioglebsk. Hier wollte ich mir seit längerem mal wieder ein Hotel leisten, um meine Erkältung auszukurieren. Zu meinem Pech schlich sich dann Dienstag eine Art Magen-Darm-Virus ein …. Gott steh mir bei. Das waren ein paar unlustige Tage. Während ich krank im Bett lag, änderte sich draußen das Wetter. Es wurde spürbar kälter und regnerischer. Am Samstag ging es mir dann wieder etwas besser. Tagsdarauf sollte es dann (im Regen) weiter gehen. Das war wirklich ein kurzer Sommer….! . Von der vergangenen Krankheit noch etwas ausgelaugt, fuhr ich trotzdem um die 60-70 km. Die nächsten Tage müsste ich 80 km pro Tag schaffen, um rechtzeitig in Saratow anzukommen. Je weiter ich ich mich Richtung Osten wagte, desto offener wurden die Menschen. Immer häufiger winkten mir Fußgänger, Auto- und Lastwagenfahrer zu. Einige hupten und hoben anerkennend den Daumen. An den Tankstellen wurde ich fast jedes mal von neugierigen Russen ausgefragt. Mit Händen, Füßen und meinen drei Worten russisch versuchte ich dann zu erklären, von wo ich kam und wohin ich wollte. Während viele „Ohs“ und „Ahs“ kamen, schlugen sich andere gegen die Stirn und sagten „blyat“. Dieses Schimpfwort wird gefühlt mindestens einmal in jedem Satz eingebaut. Sehr zu meinem Amüsement. Die dadurch gehobene Laune sollte aber schon wenig später auf den größten Tiefpunkt der Tour sinken. Bereits am nächsten Morgen wurde mein Zelt vom Wind durchgerüttelt. Beim Einpacken peitschte mir der Regen ins Gesicht. Der Versuch das Zelt normal einzupacken scheiterte mehrmals kläglich. Der Wind entriss es mir jedes mal, sodaß ich immer wieder von vorne anfangen konnte. Eine gefühlte Ewigkeit später fand ich mich dann auf der Straße wieder. Der Wind wehte mir frontal von Osten entgegen. Nach 5 Minuten hatte ich das Gefühl, einen Marathon gelaufen zu sein. Meine Beine brannten. Ich trat mit voller Kraft in die Pedale und bewegte mich dennoch kaum vom Fleck. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit befand sich unter lächerlichen 10 km/h. Nach 15 Minuten musste ich anhalten. Ich schwitzte trotz der Kälte und des Regens wie in der Sauna und war körperlich am Ende. Nach 15 Minuten!!!! Ein paar Minuten über dem Fahrrad gebeugt stehend, fing ich an zu frieren. Weiter ging’s. Alle 2-3 Kilometer musste ich anhalten, um meine pochenden und schmerzenden Beine etwas zu entlasten. Nach drei Stunden erreichte ich schließlich eine Tankstelle. Ein Blick auf’s Navi: 20 km weit war ich gekommen. Ich flippte etwas vor mich hin, beherrschte mich dann aber doch. Die Leute fingen schon an zu gucken. Ich begann zu überlegen…. Wie sollte es weiter gehen? . Es war 13 Uhr und ich hatte noch 60 km vor mir. Ich war komplett am Ende. Mein gesamter Körper schrie „hör auf, es geht nicht mehr. Es geht einfach wirklich nicht mehr!“. Mittlerweile waren es nicht mehr nur meine Beine die unerträglich schmerzten, sondern auch noch mein Rücken. Das hatte ich der verkrampften „AntiWindAufprallHaltung“ zu verdanken. Ich hatte keine Wahl, ich musste weiter. Doch bereits nach 5 Minuten musste ich wieder Zwangspausieren. Dem ohnehin schon starken Gegenwind folgten jetzt auch noch gelegentliche Sturmböen, welche mich beinnahe zum vollkommenen Stillstand brachten. Wegen die Kälte zwang ich mich kurz darauf wieder zum Weiterfahren. Wieder einer dieser Killer-Böen. Ich rastete komplett aus, schrie so laut ich konnte und verfluchte dabei Gott und die Welt. Was war das denn für ein Scheiß? Und auch noch alles gleichzeitig! Um mich abzureagieren hob ich – beim Fahren – das Vorderrad in die Luft, um es danach wieder mit voller Kraft auf den Boden zu schleudern. Das machte ich mehrmals und dann hatten meine Arme auch keine Kraft mehr. Ich hätte heulen können, wäre ich nicht so wütend gewesen. Zu allem Überfluss ging die Straße permanent bergauf und bergab. Teilweise waren die Steigungen so schlimm, dass ich schieben musste. Bei einer Baustellenampel wurde ich dann von einer russischen Familie umringt. Kleines Fotoshooting zwischendurch. Der Seitenstreifen war voller Matsch, ergo war ich voller Matsch. Dieser Tag war einfach himmlisch. Bei einer weiteren Pause stellte ich das Fahrrad ab und beobachtete, wie es ohne mich wegfuhr. Es befand sich in keiner Steigung. Der Wind schob mein Fahrrad von hinten an, so das es – vom Fahrradständer getragen – davon hoppelte. Ich stellte es quer und dann noch querer, doch es nütze nichts. Entweder machte es sich selbstständig, oder es fiel einfach um. Da hatte ich genug. Ich war kurz davor mein Fahrrad vor Frust und Wut umzu treten. In letzter Sekunde griff ich dann zum Glück doch zum Abstandshalter und schlug diesen auf den Boden. Am liebsten hätte ich meine Benzinflache genommen, die gesamte Scheiße verbrannt und den erst besten Zug nach Hause genommen. Doch die Vernunft obsiegte. Da stand ich nun. Plitschnass, voller Matsch und kaum genug Kraft zum Stehen. Ist das ein Witz? Nichts als ein schlechter Scherz? Meine Schreie wurden vom Himmel offenbar nicht gehört. Wahrscheinlich wegen des Windes….Um 20 Uhr legte sich der Wind dann allmählich. Ich gewann etwas an Geschwindigkeit und reaktivierte noch das letzte bisschen Kraft, um ein paar Kilometer durch zu boosten. Mit mehr Pausen, als ich zählen konnte, kam ich schließlich um 22 Uhr in der Nähe meines Zielortes an. Vom Fahrrad absteigen ging sowieso seit Stunden nicht mehr richtig. Aber dieses letzte mal, forderte nochmal alles. Das Fahrrad schräg legend hüpfte ich ab und jaulte vor Schmerz auf. Mein Zeltplatz war ein kleines Stück Wiese neben der Straße (mit ein paar Bäumen zum Schutz). Ich wollte direkt einschlafen, doch meine brennenden Beine ließen mich nicht…Am nächsten Morgen wachte ich mit den ohnehin schon erwarteten Schmerzen und einer flatternden Zeltwand auf. Schon wieder? Jap schon wieder. Viel Spaß mit noch einem Tag voller Gegenwind. Und so begann das gleiche Spiel wie am Tag zu vor. Nur mit dem Unterschied, dass ich schon von Anfang an nicht mehr konnte. Ich fuhr wie in Trance. Lediglich kleinere Ausraster brachten mich wieder in die Realität zurück. Immerhin brachen irgendwann am Nachmittag die Wolken auf. Der Regen verschwand, der Wind blieb. „Blyat!“ Gegen späten Nachmittag fand ich mich dann komatös an einer Tankstelle wieder. Es folgten die üblichen Fragen und die übliche Händeschüttelei. Irgendwann sprach mich ein dicker Russe im Addidas Tracksuit an ( Das ist übrigens kein Klichee, dass das alle tragen ). Meine Situation offenbar verstehend, bot er mir an, mich mitzunehmen. Oh Gott ja!!!!!! Ich hätte es bei den Steigungen ohnehin nicht mehr rechtzeitig geschafft. Und so fuhr er mich eine halbe Stunde lang Richtung Saratow und setzte mich dann an einer Tankstelle ab. Leider durfte ich kein Foto von ihm machen. Seine Haare seien wohl zu unordentlich, fettig… 🙂 Durch die neue Vegetation, die voll von Bäumen war, fielen die letzten 20 km nicht ganz so schwer. Ich fuhr in ein Hostel und sackte auf dem Bett zusammen. Eine Stunde habe ich gebraucht, um mich zum duschen zu zwingen. Das Aufstehen, sowie jede andere Bewegung war eine Qual. Doch ich hatte es geschafft. Ich habe in den letzten paar Tagen meine Grenzen erfahren und weiter überschritten, als ich es für möglich gehalten habe. Mein Körper war oft kurz vor dem Zusammenbruch und doch ging es weiter. Es ist unglaublich, wie weit einen der eigene Wille bringen kann. So schrecklich die letzten Tage auch waren, so hatten sie auch ihr Gutes. Ich habe es trotzdem geschafft.

In der Galerie gibt es noch ein paar Fotos.

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6 Kommentare

  1. Eva-Maria Redler Mai 21, 2017

    Lieber Sydney,
    Danke für den tollen Bericht – von Saratow zur Kasachischen Grenze ist es nicht mehr so weit, das schaffst du!!!
    In großer Bewunderung – viel Glück von deiner alten Lehrerin, die fest an dich glaubt,
    Eva-Maria Redler

    • sidney Mai 23, 2017 — Autor der Seiten

      Liebe Eva-Maria Reedler,
      vielen dank für die nette Antwort. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Mittlerweile bin ich jetzt auch in Kasachstan. Also ja, ich habe es geschafft 🙂
      LG Sidney

  2. Ralf Mai 17, 2017

    Geiler Typ, wir geben Dir alle Kraft von überall auf der Welt.
    Liebe Grüße aus Sofia
    Ralf
    Keep on moving

    • sidney Mai 23, 2017 — Autor der Seiten

      Danke Ralf für die nette Antwort.
      Ich freue mich, dass der Blog offenbar so weitreichend ist.
      LG aus Kasachstan
      Sidney

  3. annika Mai 17, 2017

    Älsklings-Sidney!
    Wieder mal so toll geschrieben…man will nur weiterlesen.
    Bin so stolz auf Dich wie Du diese Tour trotz vieler unterschiedlicher Schwierigkeiten so toll meisterst!
    Drücke die Daumen für Sonne!!!

    • sidney Mai 23, 2017 — Autor der Seiten

      Hej Mama,
      tak so micket. Snart kann du läsa den nya bloggen.
      Kram Sid

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