Seit dem letzten Bericht habe ich einiges an Strecke hinter mich gebracht. Momentan befinde ich mich in Astana – der Hauptstadt von Kasachstan – und pausiere hier für einige Tage. Mittlerweile hat sich das unberechenbare ständig wechselnde Wetter zum Guten gewendet. Die kalte Witterung hat sich vollends verabschiedet und wurde von Sonnenschein und 30°C abgelöst. Der Wind hingegen dreht und bläst immer noch wie er gerade Lust hat. Als ich Richtung Norden fuhr, kam er mir direkt von vorne ins Gesicht. Eigentlich kam er fast immer recht heftig von Vorne, egal in welche Richtung ich mich bewegte. Und es war definitiv nicht der Fahrtwind, der mich ständig bremste. Der Weg nach Qostanai sollte allerdings alles bisherige gehörig in den Schatten stellen. So unbefriedigend und demoralisierend diese Tage auch waren, so froh bin ich doch jetzt sie erlebt zu haben. Die Straße die ich befuhr, hatte ich fast für mich alleine. Flachland und Gras so weit das Auge reicht. Kein Baum, kein Busch, einfach Nichts. An einem Tag war der Wind fast orkanartig, so dass ich nicht einmal Schritttempo fahren konnte. Zu meinem Glück passierte mich das Zentrum des Gewittersturms einige Kilometer seitlich. Ein einmaliges Spektakel. Es war fast wie in einem Moviethriller, man steht auf der Straße und beobachtet wie ein Tornado, nur einige Kilometer entfernt – im Sekundentakt blitzend und donnernd – an einem vorbeizieht. Der Regen war wie ein Vorhang, absolut undurchdringlich. Mein Glück, dass ich nicht im Zentrum stand. So atemberaubend es für mich auch war, so anstrengend war es auch. Mein Körper war, bei diesem Gegenwind, schon nach einem Tag am Ende seiner Kräfte. Ich musste wieder und wieder Reserven aktivieren, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze. Wenn ich daran denke, noch vor einigen Monaten im Fitnessstudio nach 10 Minuten Fahrradfahren platt gewesen zu sein, ist es doch unglaublich, wie weit der eigene Körper gehen kann. Willenskraft ist dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor. So albern das für Einige jetzt klingen mag, aber ich denke, dass ich diese genauso verbessert und geschärft habe, wie meinen Körper. Den eisernen Wille nicht aufzugeben. Natürlich schleichen sich in diesen extrem Situationen auch immer Gedanken an all die schönen Dinge ein, die ich vor drei Monaten zurückgelassen habe. Anfangs habe ich versucht, diese Gedanken zu verdrängen, doch mittlerweile habe ich gelernt, genau diese für mich zu nutzen, um den schwierigen Situationen zu „entfliehen“ . Nachdem ich in Qostanai angekommen war, musste ich feststellen, dass ich zu weit gegangen war. Immer wieder über das eigene Limit und die innere „stop“ schreiende Stimme zu gehen, fordert halt seinen Tribut. In den Tagen, die ich pausierte, verschlechterte sich mein Zustand immer weiter. Mein Bauch fand zu allem Überfluss die vorherrschende Küche nicht sehr toll. Ich ruhte mich 2 Tage aus und fuhr dann mit einem Bus nach Astana, um mich dort weiter zu erholen. Ich hielt es für das Beste, meinem Körper einmal wirklich Ruhe zu gönnen. In Astana ist zur Zeit die Expo und die Hotels sind dementsprechend teuer. Durch Airbnb fand ich ein „günstiges“ Zimmer für 17 Euro pro Nacht.
Nach der ersten Nacht stellte ich dann fest, dass die Vermieterin mich über den Tisch ziehen wollte. 5 Euro extra pro Tag fürs tägliche sauber machen. Keine Diskussion, entweder ich bezahle, oder ich muss gehen. Der Hinweis darauf, dass im Internet nichts darüber steht wurde ignoriert. Als sie es mir zeigen wollte, konnte sie es auch nicht finden, aber sie war sich sicher es geschrieben zu haben. Also ging ich. In dem benachbarten McDonalds wurde ich von einem Mann angesprochen, der mir half bei einem Freund von ihm unterzukommen. 13 Euro die Nacht für ein viel besseres Zimmer und genau im Zentrum. Hier bin ich jetzt seit drei Tagen. Die Vermieter sind ein Ehepaar, die mich bisher jeden Tag zum Frühstück und Abendessen eingeladen haben. Beide sprechen gutes Englisch, was es mir ermöglicht, das erste mal seit Deutschland wieder richtige Gespräche führen zu können (Telefonate mal ausgelassen). Die Wohnung befindet sich im 18 Stock mit Zugang auf das Dach, von wo aus man eine gigantische Aussicht auf die gesamte Stadt hat. Das ist der bisher beste Aufenthalt der gesamten Tour.
Ich lasse hier alles sehr ruhig angehen. Tagsüber schaue ich mir die Stadt an, setze mich in Cafes und lese. Ich esse für Drei und schlafe lang. Der perfekte „Zwischendurchurlaub“ . Meine Energie kommt auch Stück für Stück zurück. Hier habe ich Zeit alles Geschehene zu reflektieren und richtig zu verarbeiten. Die Tour fordert immer wieder Tribute. Mal meldet sich das Heimweh, mal überkommt mich grosse Einsamkeit. Und dennoch bin ich froh hier zu sein. Diese Reise hat viel mit mir gemacht. Ich bin jetzt schon zu der Einsicht gekommen, dass man auch mit Weniger glücklich sein kann. Ich fange an, mir mehr Zeit für die kleinen Dinge zu nehmen. Selbstverständlichkeiten, wie eine warme Dusche und ein Bett weiß ich plötzlich mehr wertzuschätzen. Auf meinem Weg hierher wurde ich immer wieder mit Armut und Menschen, die quasi nichts besitzen, konfrontiert. Ein Großteil dieser Menschen ist dennoch zufrieden. Mein Leben lang habe ich immer wieder gehört, wie froh wir sein können in diesem Wohlstand leben zu dürfen. Ich konnte damit wenig anfangen, weil ich nichts anderes kannte. Selbst Leute, die in Deutschland an der „Armutsgrenze“ leben, haben eine Wohnung und genug zu essen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob man das wirklich als Armut bezeichnen kann. Eigentlich nicht. Lediglich im Verhältnis zu den anderen Deutschen.
Oft denke ich an die ersten Tage meiner Tour. Die regnerische und schneereiche Zeit in Polen und dem Baltikum. Es kommt mir vor, als wäre ich schon seit einem Jahr unterwegs und trotzdem sind die Erlebnisse so frisch, als wenn sie von gestern wären. Damals habe ich mir gedacht, dass diese Tour nie zu Ende geht. So viele tausend Kilometer vor mir. Jetzt befinde ich mir kurz vor der Hälfte der Zeit und der Strecke. In einigen Wochen werde ich die Grenze nach China passieren, wo mich der vermutlich größte Kulturschock erwarten wird. Ich habe noch nie viel von dem ländlichen China gehört. So fahre ich immer weiter ins abenteuerliche Unbekannte. Die Größe Chinas wird fast nie von einer Weltkarte wahrheitsgemäß dargestellt. Laut der Gesamtübersich von Googlemaps oder meinem Navigationsprogramm ist China nur knapp ein Drittel der Strecke. In Wahrheit ist es fast die Hälfte.
Anhang: Bakschisch:
Bevor ich mich an den Blogeintrag setzen wollte, ging ich noch einige Lebensmittel für die Weiterfahrt einkaufen. Neben dem Gebäudekomplex ist eine Hauptstraße und genau gegenüber liegt ein Supermarkt. Die nächste Ampel ist 500 Meter weiter die Straße runter…. Also tat ich das was jeder andere auch tat. Ich überquerte die Straße als gerade kein Verkehr kam. Natürlich fuhr genau in dieser Sekunde ein Polizeiwagen um die Ecke, der mich auch gleich am Straßenrand abfing. 3 Beamte sprangen heraus und setzten mich ins Auto. Die Anderen, die auch weiterhin gemütlich die Straße überquerten wurden ignoriert. Umgerechnet 50 Euro wollten sie haben. Es gäbe aber auch eine andere Lösung. Der Eine, der neben mir saß, schlug ein Logbuch auf und tippte mit dem Zeigefinger darauf. Alles klar. Ich legte umgerechnet 15-20 Euro rein, das Buch wurde zu gemacht, Hände wurden geschüttelt und ich durfte gehen. Kasachstan…
Ralf Juli 4, 2017
Das ist alles ganz großartig! Halte durch und versuche möglichst viel auch neben Deinem Blog aufzuschreiben oder sonst irgendwie zu recorden, you never know .
Liebe Grüße Ralf
Eva-Maria Redler Juni 26, 2017
Hallo Sydney,
ich bin sehr froh, wieder von dir zu lesen – schaue inzwischen fast jeden Tag nach… wirklich atemberaubende Eindrücke und tolle Bilder! ich drücke weiter die Daumen!
Viel Glück und von Herzen alles Gute!!!
Eva-Maria Redler
David Juni 26, 2017
„Oh Hallo!“ Marcel Davis!
Petra Juni 26, 2017
Absolut bewundernswert was Du alles erlebst und wie Du darüber schreibst. Ich wünsche Dir weiterhin eine atemberaubende Reise mit traumhaften Eindrücken. Pass auf Dich auf.
kai Juni 26, 2017
Klasse, das Du mal wieder geschrieben hast. Schöne Fotos und Dein Bericht gefällt mir auch gut. Dicken Kuss